Meine Lieben,
Schwestern gibt’s nur noch bis Ende des Monats!
Herrschaften, was las ich kürzlich in der Zeitung? „Schwestern
gibt’s nur noch bis Ende des Monats!“ – ich denke: Nanu,
was soll das denn jetzt heissen? Geht Ende des Monats die Welt unter, oder
halte ich hier bloss ein Stück schwulenfeindliche Propaganda in Händen.
Da fliegen mir doch die Knöpfe von der Jacke, wenn ich so was lese, Mensch.
Ja, sind wir denn immer noch nicht weiter?! Zornige Wärme stieg mir in
die Wangen – allerdings umsonst, wie sich beim Weiterlesen herausstellte:
„Krankenschwestern sollen absofort Pflegefachfrauen heissen.“ Ach so, Krankenschwestern. Naja. Wenn die das mögen. „Pflegefachfrauen“. - Klingt für meine Ohren etwas gestelzt, nicht. Aber wir Putzfrauen heissen ja heute auch „Reinigungspersonen“, denn das ist politisch korrekt, sagt man. Ich persönlich seh’ das ja nicht so eng, denn ich bin ja eine Frau, und ich putze nun mal. Damit hab ich also keine Probleme. Aber die Pflegefachfrauen werden wohl Anstoss an der implizierten Fraternisierung genommen haben, denn bloss, weil ich Kranke pflege, muss ich ja nicht gleich zur Familie gehören, nicht? Das kann ich wiederum gut verstehen. Zumal ich denke, dass bei den Schwestern, mit denen ich meistens zu tun habe hier in der Szene, diese Anspielung an eine „familiäre“ Zugehörigkeit durchaus gewollt und beabsichtigt ist, nicht wahr. Wenn man in der Gesellschaft zu einer Minderheit gehört, dann ist es oft tröstlich, wenn man sich unter seinesgleichen als „Familie“ fühlen kann, das gibt einem doch eine gewisse unausgesprochene Solidarität, keine Frage. Die Schwarzen bezeichnen sich ja auch oft gegenseitig als „Brother“ oder „Sista“, auch wenn die sich vorher noch nie gesehen haben. Insofern bin ich ganz froh, wenn mir meine Sorte von „Schwestern“ noch etwas erhalten bleibt. An Namen wie zum Beispiel Gleichgeschlechtsfachmann könnte ich mich wirklich nur schwer gewöhnen. Und ein Gefühl von Zusammenhalt vermittelt das ja auch nicht gerade. Höchstens von professioneller Verpflichtung, und wer kriegt dabei nicht Sodbrennen. Die einzige Frage, die mir allerdings noch bleibt, ist, wie wir demnächst nach der Schwester rufen, wenn wir marod im Spitalbett röcheln. „Pflege“ etwa? So wie „Bedienung“ im Restaurant? „Pflege“, schnell! *krächz* - Oder vielleicht „Frau Meier-Mölkau“, oder wie die Betreffende sonst heisst? Das würde natürlich bedingen, dass man sich alle Namen der Stationsangestellten einprägt, was in angeschlagenem, pflegefraubedürftigem Zustand ein ev. etwas hoher Anspruch ist. Naja. Wir werden es erleben, und soviel ist auf jeden Fall sicher: „Schwestern“ wird es immer geben.
Eure Hildegard.